BOROS Foundation

by Irene

Ungeduldig stehe ich mit meinem Fahrrad am Rotlicht Albrechtstrasse eingehend Reinhardtstrasse. Ganz in der Nähe habe ich während meiner Wohnungssuche zu Beginn der Berlinzeit eine interessante Bleibe besichtigt. Die Räumlichkeiten waren zwar grosszügig, aber ich fühlte mich einfach nicht wohl darin. Und genau das ist mir das Wichtigste! Deshalb habe ich mich dagegen entschieden. Gedankenversunken warte ich also auf den grünen Ampelmann und halte Ausschau nach der damals besichtigten Wohnung.

Aber unübersehbar vor mir steht nun aber nicht das besichtigte Wohnobjekt, sondern ein Betonkoloss – und was für einer! Imposant, wuchtig und uneinnehmbar steht er da! Ein riesiger Betonbunker aus dem Zweiten Weltkrieg mitten in Berlin, nur wenige Schritte vom Friedrichstadt Palast entfernt. Dieses Objekt hat mich sofort in den Bann gezogen und ich wollte unbedingt mehr darüber erfahren.

Der Luftschutzbunker

Im Jahr 1942 wurde der Reichsbahnbunker für die Mitarbeiter und Reisenden vom nahe gelegenen Bahnhof Friedrichstrasse sowie für die umliegende Zivilbevölkerung gebaut. Bis zu 2500 Menschen fanden darin Schutz vor den Bomben. Die ausgewogenen Proportionen, die regelmässige Struktur und die kompromisslose Architektur mit der rohen Betonfassade wirken auf mich zeitlos. Dieses Gebäude ist ein Vorgänger des Brutalismus-Baustils, der anfangs der 50er-Jahre begründet wurde. Der sorgfältig ausgearbeitete Grundriss und der symmetrische Aufbau überraschen. Einzig die ursprünglich relativ tiefen Räume von 200-230 cm wirken bedrückend und machen deutlich, dass es sich um einen Zweckbau handelt und es nicht darum ging, die äussere Grosszügigkeit im Inneren fortzusetzen.








Quelle: strickland.ch

Die doppelläufigen Treppenhäuser auf allen vier Aussenseiten ermöglichen einen möglichst schnellen Ein- und Austritt über eigene Zugänge und umhüllen den Kern der inneren Schutzräume zusätzlich. Der labyrinthartige Aufbau erschwert die Orientierung zwar erheblich, aber der grosszügige Durchblick und das Kunstlicht in den gegenläufigen Treppenhäusern erzeugen nahezu eine sakrale Wirkung.

Das Textillager

Anfangs der 50er-Jahre dienten die Räumlichkeiten als Textillager.

Der Bananenbunker

Ab 1957 wurde der Bunker vom «VEB Großhandel Obst-Gemüse-Speisekartoffeln» als Lager für importierte Trocken- und Südfrüchte aus Kuba genutzt, deshalb bekam der Betonkoloss auch den Übernamen «Bananenbunker». Der riesige Bau war zwar mit seinen kühlen Räumen ein ideales Früchtelager, aber der Zutritt über die Treppenhäuser war überhaupt nicht tauglich. Aus diesem Grund schlug man Öffnungen in die massive Aussenfassade und baute einen Aussenlift, über den die Lageraktivitäten erfolgten. Der ehemalige Aussenlift-Zugang auf dem Bild unten lässt den Blick frei zum Hotel Best Western Berlin-Mitte und lässt die Dicke der Aussenmauern deutlich erkennen.

Der Technobunker

In den 90er-Jahren wurde der Bunker als Techno-Club genutzt und er galt als härtester Club der Welt für Hardcore-Raver. Im Garten gab es den Rot-Kreuz-Club (später ex-Kreuz Club), wo wilde SM-, Fetisch- und Fantasy Parties gefeiert wurden – bis kurz vor der Abschlussparty Mitte Dezember 1996 die Bauaufsicht die Bewilligung entzog und die Clubs durch die Polizei versiegeln liess.

Festival der neuen Kunst

INSIDEOUT organisierte vom 15.9.-20.10.02 im Bunker das «Fünfte Festival der Neuen Kunst» mit der Absicht, diesen in einen internationalen Ausstellungsort zu überführen und langfristig künstlerisch zu erschließen. Die damalige Eigentümerin, die Nippon Development Corporation GmbH, wollte den Bunker im Anschluß an das Festival komplett sanieren und zu eine Kunststätte umbauen. Gemäss Tagesspiegel war als möglicher Mieter für Ausstellungen offenbar auch das Pariser Centre Pompidou im Gespräch.

Der Umbau

Ein Jahr später, 2003, erwarb der Medienunternehmer und Kunstsammler Christian Boros den Hochbunker mit dem Ziel, diesen zusammen mit seiner Frau Karen in ein privates Kunstmuseum umzubauen und als Wohnraum zu nutzen. Ein Jahr dauerte die Planung und vier Jahre der Umbau. Auf fünf Stockwerken entstanden schliesslich Ausstellungsräume für zeitgenössische Kunst sowie auf der Dachfläche ein Penthouse mit Dachgarten für die Familie.

Um das neu aufgesetzte Wohngeschoss zu erschliessen, musste in mehrmonatiger Arbeit massiver Stahlbeton aus der drei Meter dicken Dachdecke herausgebrochen werden. Die Aufzugs- und Treppenanlage aus Metall steht eindrücklich im geöffneten Raum, der über alle Stockwerke reicht.

Für das Penthouse wurde ebenfalls Sichtbeton verwendet und die Spuren der Bretterverschalung sind wie beim Bunker sichtbar und roh belassen. Die Konstruktion mit der umlaufenden Stahlglasfassade erinnert mich an die Pavillon Bauten von Mies van der Rohe.

Einblick in das private Penthouse von Karen und Christian Boros gibt es im Bericht des Online Magazins Yatzer oder auf Video von «Freunde von Freunden».

Für die Boros Foundation und die Sammlung zeitgenössischer Kunst wurden die Zwischendecken der ursprünglich relativ tiefen Räume teilweise aufgebrochen, so dass grosszügige Raumstrukturen und sensationelle Raumfolgen entstanden. Man blickt nun von Galerien und unterschiedlichen Perspektiven auf die Kunstwerke, welche in Ausstellungsräumen präsentiert werden, die entweder neutral weiss ausgemalt oder im ursprünglichen Zustand gelassenen wurden und an ehemalige Nutzungen erinnern.

Die Kunstausstellung

Die Privatsammlung zeitgenössischer Kunst von Christian und Karen Boros ist nicht frei zugänglich, sondern wird als Führung gebucht. Ein äusserst sympathischer Student führte mich und meinen Partner durch die Ausstellung. Beim Rundgang bekamen wir nicht nur viele Hintergrundinformationen zu den Kunstwerken, sondern auch zum Bau und Umbau. Bei den Kunstobjekten handelt es sich um Werkgruppen internationaler Künstler von 1990 bis heute, wobei die Kunstausstellung alle vier Jahre erneuert wird. Momentan wird die dritte Ausstellung gezeigt. Besonders gut gefallen hat mir die Installation von Katja Novitskova und die Werke der Schweizer Künstlerin Pamela Rosenkranz.

Doch am meisten faszinierten mich tatsächlich nicht die Kunstausstellung, sondern die brachiale Architektur, die labyrinthartigen Gänge, die verbliebenen engen Zellen in Verbindung mit der Grosszügigkeit von Räumen, welche durch aufgebrochene Decken und Wände neu geschaffen wurden, das Ineinander laufen und die Verschachtelung dieser Raumstrukturen, die Sichtwinkel, das Nebeneinander von Alt und Neu und die spezielle Atmosphäre, welche überall zu spüren ist. Ich fragte mich immer wieder: Wenn diese Mauern sprechen könnten, was hätten sie wohl alles zu erzählen? Ein Besuch in der BOROS Foundation ist ein absolutes Muss für Deinen nächsten Besuch in Berlin. Da es nicht erlaubt ist die Kunstobjekte der Ausstellung zu fotografieren, findest Du in meiner Bildergalerie interessante Fotos von Räumen oder von Objekten, welche ohne Weiteres selbst als Kunstobjekte herhalten können.

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